ZENTRUM BILDEN, Gebrannter Ton, Engobe 2023 |
Foto: Mechthild GroßannFotos: Lilli Schnitger
ERÖFFNUNG mit Lola Atkinson: Harfe/Gesang, Isabell Raphaelis: Traversflöte/Gesang, Gesche Heidemann: Tanz |
Was macht Weiblichkeit aus?
Die Bremer Bildhauerin Annegret Maria Kon (*1978) spürt dieser Frage in sieben lebensgroßen Büsten nach und verleiht den Qualitäten von Frauen bildgewaltig Ausdruck. Inspiriert von den Büchern Angelika Alitis findet sie Formulierungen für Aspekte wie Liebe, Bindung, Selbstbewusstsein, Stärke, Schönheit, Fülle und Fürsorge. Diese Persönlichkeitsmerkmale zeichnen in unterschiedlicher Gewichtung besonders Frauen aus, schlummern aber in jedem Menschen. Nur: Wo bleibt der Raum dafür in unserer immer noch vorherrschend patriarchalisch geprägten Gesellschaft?
Die Büsten bilden den vorläufigen Kulminationspunkt im Werk von Annegret Maria Kon, die an der HfK (Hochschule für Künste) hier in Bremen studiert hat und Schülerin von Professor Bernd Altenstein ist, hat sich in ihrem ganzen bisherigen Werk konsequent dem Menschen gewidmet.
Bemerkenswert ist, dass sie ihren Frauenfiguren aktive Titel im Sinne einer Aufgabe oder des Handelns verliehen hat: „Zentrum bilden“, „Verbindung sein“, „Ausdruck verleihen“ oder „Hüterin sein“, um vier der sieben Titel zu nennen. Diese drücken aus, was ich spüren oder vermitteln kann. Und doch – oder gerade deshalb – arbeitet Annegret Kon mit geläufigen Darstellungsmustern, die im kollektiven Bildgedächtnis unserer Gesellschaft verankert und daher auch gut lesbar sind. Durch beigegebene Attribute und Körperhaltungen sehen wir uns typischen Frauengestalten gegenüber, denen wir bestimmte Charaktereigenschaften zuschreiben. Da ist die ureigentliche „Königin“, „Zentrum bilden“, mit Krone und Zepter, die „Priesterin“ mit Haube und dargebotener Schale, eine alte, lebenserfahrende Frau, die „Verbindung ist“. Die in sich gekehrte und konzentrierte „Künstlerin“, eine Musikerin mit dem Cello, „verleiht Ausdruck“. Und die durch ein Pferd charakterisierte „Amazone“ beschützt und „-hütet“ uns.
Die einnehmende Wirkung der Büsten hat aber nicht nur damit zu tun, dass wir sie über die eingängigen Attribute leicht lesen können und sie dadurch Gefühle in uns zum Schwingen bringen. Einen nicht unerheblichen Anteil an ihrer Wirkung hat ihre bildhauerische Gestaltung. Die Büsten folgen keinem einheitlichen Frauentypus, sondern zeigen unterschiedliche Körper und Gesichter, beleibt und hager, lieblich und streng, jung und alt. Diese Varianz ist beabsichtigt, denn die Aspekte der Weiblichkeit sind so unterschiedlich wie wir selbst. Die Varianz hat aber auch etwas damit zu tun, dass Annegret Kon ihre Bildideen, oder vielmehr die Frauen, die sie verkörpern, nach lebenden Modellen gezeichnet hat. Am Anfang stehen immer die Porträtzeichnungen nach Frauen aus ihrem persönlichen Umfeld. So steht am Ende hinter jeder Büste, trotz ihrer manchmal märchenhaft magischen Attribute das plastische Porträt einer konkreten Frau.
Immer schon hat Annegret Kon mit gebranntem Ton gearbeitet. Er ist das Material ihrer Wahl und sie reiht sich damit aktuell in eine internationale, jüngere Bildhauergeneration ein, die dem uralten Werkstoff eine neue Modernität verliehen hat und mit ihm überraschende Resultate hervorbringt.
Dr. Veronika Wiegartz, Kustodin und Stellvertretende Direktorin im Gerhard Marcks Haus aus der Eröffnungsrede Königinnan am 23. Mai 2024